21.02.2008

IMGA0597Gestern haben wir hier einen Kälteeinbruch erlebt, der sich besonders dadurch äußert, dass morgens früh das Abwasser im Rinnstein gefroren ist.

Eigentlich ist das nichts besonderes, schließlich lebe ich in Halifax unter extremeren Temperaturen. Jedoch habe ich den Eindruck, dass die Kälte dort besser zu ertragen ist (könnte vielleicht an der Luftfeuchtigkeit liegen?). Aufgrund dessen habe ich mich auf den Weg gemacht, mir ein paar ordentliche Handschuhe zu kaufen. Zwar habe ich meine kampferprobten Skihandschuhe dabei, diese sind aber nicht wirklich effektiv.

Wer schon einmal in New York war, der weiß, dass sich vor allem an den Touristen-Hotspots wie dem Times Square die Souvenirläden aneinanderreihen. Dort gibt es alles Erdenkliche zu kaufen, von häßlichen „I love NY“ Aufklebern über WTC-Statuen bis hin zu Digitalkameras und Zubehör. Und eben auch Handschuhe.

An einem normalen Paar Thinsulate Fleece-Handschuhe, in einem deutschen Onlineshop für €9,99 zu haben, lassen sich hier enorme Preisunterschiede beobachten:
deutscher Onlineshop: €9,99
Souvenirgeschäft am Times Square (chinesischer Besitzer): $7,99
Souvenirgeschäft am Times Square (amerikanischer Besitzer): $9,99
Macy’s (prestigeträchtigstes Kaufhaus in ganz New York): $34,99 (!!!)
Ich habe mich dann spontan für das Souvenirgeschäft am Times Square (chinesischer Besitzer) entschieden.

Ganz großes Kino war im Rahmen dieser Aktion der Besuch des Souvenirgeschäfts am Times Square (amerikanischer Besitzer). Kurz nachdem ich den Fehler begangen hatte, diesen Laden zu betreten, wurde ich (natürlich) von einem Mitarbeiter freundlich begrüßt und direkt kompetent meinen Wünschen entsprechend beraten.
Der Dialog spielte sich folgendermaßen ab:
„Good morning, Sir, I would like to buy a pair of gloves!
„I have some really nice cameras especially for you, come and have a look!“
„Excuse me, Sir, but I just want to buy gloves!“
„You don’t need gloves, buy a camera!“
„I already have a camera, now I want to buy gloves!“
„Which camera do you have?“
„The Panasonic NV-GS230 EG-S“
„That’s a nice one, probably the best. Come here, I will show you a lens for it“

Der Mann geht nach hinten in den Laden. Ich folge ihm, weil ich die Linse wirklich mal sehen möchte. Bis zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es derartiges Zubehör für meine Kamera gibt. Ich gebe ihm meine Kamera, er montiert die Linse, geht mit meiner Kamera nach draußen (ich hinterher) und demonstriert mir den Effekt. Rein aus Interesse begehe ich den Fehler, ihn nach dem Preis zu fragen:
„How much is the lens?“
„Normally it’s $999, I will give it to you for $299.“

Ah ja. Sicher das. Eine Kameralinse für $999 (in Worten: neunhundertneunundneunzig). Dabei war die noch nicht mal aus Gold und mit Diamanten besetzt, und eine komplette HD-Videokamera hing auch nicht daran. Also bitte, erstens zu behaupten, eine Kameralinse würde im Fachhandel $999 kosten, ist unglaubwürdig. Zweitens im gleichen Atemzug einen Rabatt von $700 zu gewähren, macht die Sache nicht wirklich besser.

Handschuhkauf, zweiter Akt, Vorhang auf:
„I don’t want to buy this lens.“
„I will give it to you for $275.“

An dieser Stelle frage ich mich ersthaft, welcher Teil des Satzes „Ich möchte diese Linse nicht kaufen“ unverständlich ist.
Nachdem er noch ein paar Mal (immer nachdrücklicher) versucht hat, mich zum Kauf zu zwingen…ähm, ich meine natürlich: mich davon zu überzeugen, dass ich dieses Teil schon immer haben wollte, und erst durch den sofortigen Erwerb bei ihm mein ewiges Seelenheil erreichen werde, und ich ihn jedes Mal aufs Neue damit konfrontiert habe, dass ich dieses Teil nicht kaufen werde, habe ich schließlich meine Taktik geändert und ihm gesagt, dass ich es mir überlegen werde und am nächsten Morgen ganz sicher (*g*) wieder bei ihm erscheinen werde.
Daraufhin wurde er ein wenig ungehalten und sagte zu mir: „No, you will not think about it, and you will not come back tomorrow! You are not good for my business!“ Unter wüsten Beschimpfungen seinerseits habe ich dann seinen Laden verlassen. Wenigstens ein netter Kollege war anwesend: Dieser hat mir immerhin die Tür aufgehalten…

An dieser Stelle kann ich zukünftigen New York Besuchern nur einen Rat geben: Kauft nicht bei Souvenirgeschäften am Times Square!

Warum erzähle ich Euch diese Story in ihrer gesamten epischen Breite? Ganz einfach: weil ich (1) diese Unterhaltung ziemlich amüsant fand, (2) das Marketing-Verständnis dieser Läden in Bezug auf die Frage „How to please the customer?“ sehr interessant finde, und weil ich (3) heute zu B&H gegangen bin, einem auf Seite 2598 des Touristenführers am Rande erwähnten Elektronikgeschäft.

IMGA0593Logistiker, wenn Ihr nach New York fahrt: That’s the place to be!!! Ein Besuch in diesem Laden bringt schätzungsweise mehr als ein ganzes Semester „Technische Logistik und Materialflußtechnik“ an der Hochschule! Wer beim Besuch bei DHL am Flughafen dabei war: So sieht dieser Laden von innen aus. Dort gibt es alles zu bewundern, was der Technikmarkt für Logistiker zu bieten hat: Flurfreie Stetigförderer, flurfreie Unstetigförderer, (jetzt kenne ich auch endlich den Unterschied zwischen Rollenbahnen und Röllchenbahnen), S-Förderer, und und und…
Was mich ein wenig stutzig gemacht hat: In diesem Laden gibt es reihenweise Ausstellungsschränke, in denen man sich die Artikel anschauen kann, aber selbst das Personal kann sie nicht herausnehmen um sie vorzuführen.

IMGA0596Während ich also von einem netten und kompetenten Mitarbeiter meinen Wünschen entsprechend beraten wurde, zeigte dieser mit immer wieder bestimmte Artikel auf einem Computerbildschirm.
Als wir einen möglicherweise in Frage kommenden Artikel gefunden hatten, drückte er auf den Button „Order“ und keine zwanzig Sekunden später erschien wie von Geisterhand hinter ihm eine grüne Box (über einen Aufzug im Boden nach oben befördert), in der sich der Artikel befand. Ich muss sagen, von der Supply Chain war ich echt beeindruckt. Der Artikel kam leider nicht in Frage, was aber kein Problem war. Er kam zurück in die Box, und einen Knopfdruck später war die Kiste wieder im Boden verschwunden.

IMGA0591Als wir den gesuchten Artikel gefunden hatten, kam dieser ebenfalls in die grüne Box, zusätzlich wurde aber ein RFID-Tag ausgedruckt und an der Kiste befestigt. Diese wurde im Anschluss Richtung Decke befördert, einmal um den ganzen Laden befördert, über eine Wendeltreppe nach unten, ein paar Meter weiter mit einem S-Förderer wieder nach oben, [hier wurde der Sichtkontakt für einige Meter unterbrochen] und schließlich über eine Rampe zur Warenausgabe.
Dazu als Vergleich ein normaler Einkaufsvorgang bei MediaMarkt Deutschland: Den Laden betreten, Verkäufer suchen, kein Verkäufer sichtbar, also selber suchen, Artikel aus dem Regal nehmen, zur Kasse tragen, bezahlen, rausgehen, fertig. Irre ich mich, oder ist Einkaufen in Amerika nur unwesentlich spektakulärer?

P.S.: Die Handschuhe habe ich später beim Souvenirgeschäft am Times Square (chinesischer Besitzer) für $7,99 gekauft.

P.P.S.: Die $999-Linse vom Souvenirgeschäft am Times Square (amerikanischer Besitzer), für die ich „nur“ $275 hätte bezahlen müssen, gab es auch bei B&H… für $24,95.

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